Sonntag, 1. März 2015

Die BDS Bewegung und die antisemitischen Bilder von Carlos Latuff (2): Karikaturen über Israel und die Shoah

Zahlreiche Zeichnung des brasilianischen Karikaturisten Carlos Latuff stellen Bezüge zwischen der Shoah und der heutigen Situation der PalästinenserInnen her. Dabei handelt es sich zum einen um Gleichsetzungen der industriellen Massenvernichtung der Jüdinnen und Juden mit der Politik Israels. Zum anderen behauptet Latuff - in Anlehnung an Norman Finkelstein - die Existenz einer "Holocaust-Industrie".

Die BDS Bewegung und die antisemitischen Bilder von Carlos Latuff (1): Karikaturen über Israel
Die BDS Bewegung und die antisemitischen Bilder von Carlos Latuff (3): Das Kapital und die USA

Gleichsetzung

Abbildung 15 entstand im Jahr 2002 und ist Teil der schon im ersten Text behandelten "I am Palestinan"-Serie. Es zeigt einen kleinen Jungen mit Judenstern, woraus geschlossen werden kann, dass die Karikatur die Zeit der nationalsozialistischen Judenverfolgung darstellen möchte. Aus dem an einer Mauer in polnischer und deutscher Sprache angebrachten Schild ("Wohngebiet der Juden - Betreten verboten") ist ableitbar, dass sich das abgebildete Kind in einem Ghetto befindet. In der Sprechblase, die zum Mund des Kindes führt, steht - wie bei den anderen Karikaturen dieser Serie - das Bekenntnis "I am Palestinan". Die Veröffentlichung dieser Zeichnung auf der Schweizer Homepage des Indymedia Netzwerks hatte eine Klage der "Aktion Kinder des Holocaust" zur Folge. Letztere begründete die Einleitung rechtlicher Schritte folgendermaßen:
"The cartoon evokes a clear association of a WWII ghetto in Poland. The figure shown is obviously based on the image from the infamous photograph of the little boy who is threatened by an SS-man armed with a gun. Hardly any other picture from any ghetto has the same symbolic and emotional impact. (...) Through the sentence "I am Palestinian" it is made clear that the ghetto wardens of today are not the Nazis anymore, but the Israelis. The picture conveys the clear association that the Jews themselves do now exactly the same what the Nazis did to them in the Thirties and Forties of the last century."[1]
Die Klage gegen Indymedia führte innerhalb der Linken zu einer Debatte rund um die Karikaturen von Latuff im Allgemeinen und Abbildung 15 im Besonderen. Schon vor der Klage gegen Indymedia Schweiz haben die deutschsprachigen Indymedia Moderationskollektive begonnen, Latuff-Karikaturen von ihren Startseiten zu entfernen. Dem bei Indymedia vorherrschendem Verständnis von Transparenz und freier Meinungsäußerung folgend, wurden die Zeichnungen jedoch nicht gelöscht, sondern blieben weiter abrufbar. Andere Indymedia Kollektive sahen kein Problem in Latuffs Karikaturen, stellten sich hinter den Karikaturisten und verurteilten die Klage der "Aktion Kinder des Holocaust". Dass das Indymedia Netzwerk über fast ein Jahrzehnt hinweg zu den wichtigsten globalen Distributionsmedien Latuffs antisemitischer Zeichnungen zählte, wurde in einem Beitrag auf Indymedia Deutschland problematisiert. "Latuffs kleine Bildchen finden sich auf so ziemlich allen Indymedias weltweit"[2], heißt es dort.

Aufgrund des Bedeutungsverlustes von Indymedia in den letzten Jahren setzt Latuff mittlerweile auf Twitter und andere Social Media Kanäle als Verbreitungsplattformen. Auf Twitter folgen ihm über 21.000 UserInnen - auf Facebook wurde sein Account bisher von 58.000 Menschen abonniert. Neben seinen Zeichnungen postet bzw. retweetet er dort bevorzugt antiisraelische Meldungen von Russia Today und dem iranischen Press TV.

Auch die im Jahr 2007 veröffentlichte Abbildung 16 spielt mit auf eine Relativierung der Shoah hinauslaufende Assoziationen. Das beginnt bereits mit der Bildüberschrift, wo von "Israel's collective punishment of Gaza" die Rede ist. Auf dem Bild zu sehen sind zwei Männer, die vor zerstörten Häusern sitzen, aus denen Rauch aufsteigt. Einer liest in einer Zeitung, deren Titelblatt die Berichterstattung über "Israeli crimes on Gaza" verspricht. Der Zeitungsleser fasst zusammen: "Power and fuel cuts, food and medicines shortage, air strikes, border closure... what's next?" - auf das abschließende „what's next?“ Antwortet der Mann neben ihm: "Gas chambers?"

Noch deutlicher - und in seiner antisemitischen Menschenverachtung noch drastischer - wird Latuff im Jahr 2009. Abbildung 17 zeigt ein jüdisches Opfer der Shoah neben einem Palästinenser aus Gaza in einem Stacheldrahtzaun. Ihre Körper haben die Form von Hakenkreuzen.

"Holocaust-Industrie"

Norman Finkelstein behauptete einst in seinem gleichnamigen Bestseller die Existenz einer „Holocaust-Industrie“ (Piper, 2000). Er argumentierte, jüdische Organisationen würden sich, indem sie immerzu auf die industrielle Massenvernichtung der Jüdinnnen und Juden durch die Nazis verwiesen, hemmungslos bereichern. Sowohl Neonazis als auch linke AntisemitInnen konnten seinem Buch viel abgewinnen.[3]

Latuff hat dem Autor von Die Holocaust-Industrie eine Zeichnung gewidmet, die ihn vor einer israelischen Grenzbefestigung zeigt (Abbildung 18). Unter der Überschrift "Israel 'security' wall" ist Finkelstein zu sehen, der - so legt es die Zeichnung nahe - soeben mit einer Spraydose, die er in der Hand hält, das Wort "Ghetto" auf die sich hinter ihm befindende Grenzmauer geschrieben hat. An die BetrachterIn der Karikatur stellt Finkelstein die Frage: "Why not call it by it's REAL name?!!" (Hervorhebung im Original). Um zu verdeutlichen, dass er mit den Aussagen von Finkelstein übereinstimmt, versieht Latuff seine Karikatur mit einer Widmung: "To Mr. Finkelstein with my best regards Latuff 2004". Die Relativierung der Shoah verbindet Latuff und Finkelstein. Für Latuff erfüllt Finkelstein zudem die Funktion des vermeintlich über Antisemitismus erhabenen jüdischen Kronzeugen für seine als antisemitisch kritisierten politischen Positionen. Mittlerweile dürften Latuff und Finkelstein zumindest was BDS betrifft nicht mehr einer Meinung sein. Letzterer distanzierte sich nämlich von der Bewegung, die er als Sekte beschreibt, u.a. mit der Begründung, die Forderungen von BDS würden auf die Zerstörung Israels hinauslaufen.[4]

Der Logik einer imaginierten "Holocaust-Industrie" folgend, scheint Latuff zudem an ein von einer jüdisch/israelischen Lobby kontrolliertes Hollywood zu glauben. Dies legt eine mit "In the Hollywood video rental store..." überschriebene Karikatur aus dem Jahr 2001 nahe (Abbildung 19). Darauf ist ein Junge zu sehen, der ein T-Shirt mit einem anarchistischen Logo trägt. Er steht am Schalter der Videothek und fragt den Verkäufer, ob er "any movie about the massacre of Palestinian people" hat, worauf dieser mit "No way!!!" antwortet. Zur Entschlüsselung der antisemitischen Codes in dieser Zeichnung, ist vor allem eine Betrachtung der Einrichtung sowie Dekorierung der Videothek notwendig. Im Hintergrund steht ein Regal mit Videos, die sich ausschließlich auf den Nationalsozialismus, die Shoah, ZeitzeugInnen-Berichte sowie die Nürnberger Prozesse beziehen. Auf dem Pult, welches vor dem der kleine Junge steht, sind zwei Filmplakate zu sehen. Auf einem ist "Chuck Norris killing terrorists" und auf dem anderen "Holocaust 5" zu sehen. Hollywood ist - so Latuff - Filme produzierender bzw. vermarktender Teil einer "Holocaust-Industrie", die mit ihrem von Latuff unterstellten Fokus auf die industrielle Massenvernichtung der Jüdinnen und Juden, vom Leid der PalästinenserInnen ablenke.

Quellen:
[1] Aktion Kinder des Holocaust, „Is this cartoon by Latuff, published at indymedia-switzerland, anti-Semitic? An analysis“, 2002.
[2] Anonym, „Latuff – ein Antisemit?“, 29.08.2002.
[3] Vgl u.a. Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich, „Protest gegen Finkelsteinauftritt in Wien“, Mai 2009.
[4] Vgl. „Arguing the Boycott Divestment and Sanctions (BDS) Campaign with Norman Finkelstein“, ab 0:09:50, 2012.

Abbildungen:



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