Samstag, 28. Juni 2014

Fernsehen und Postnazismus

Renée Winter befasst sich in ihrem Buch Geschichtspolitiken und Fernsehen mit der frühen Geschichte des ORF und untersucht, wie der Nationalsozialismus von 1955 bis 1970 in unterschiedlichen Fernsehformaten verhandelt wurde.

Die frühe österreichische Fernsehgeschichte bietet Erwartbares und Überraschendes. Es wurde nicht geschwiegen über den Nationalsozialismus. Die Art des Sprechens jedoch war eine problematische - von Auslassungen, Verschiebungen und blinden Flecken durchzogen und parteipolitischen Interessen untergeordnet.

Österreichpatriotismus, deutschnationale Nischen, subversives Kabarett

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im frühen ORF folgte oftmals einer Logik der Datumspolitik. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang der 27. April als Tag der Unabhängigkeit von Deutschland, der 15. Mai als Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrags, nicht jedoch der 8. Mai als Tag der Befreiung. In der Darstellung des Widerstands wurde der österreichische überbetont, während der kommunistische Widerstand und der Anteil der PartisanInnen an der Befreiung weitgehend verschwiegen wurden.

Der frühe ORF wusste auch sein deutschnationales Publikum zufrieden zustellen. Am 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag, agierte man 1967 und 1968 besonders Zielgruppenbewusst: Während sich FS1 österreich-patriotisch dem Nationalfeiertag widmete, bot FS2 das deutschnationale Alternativprogramm. 1967 mit einer Übertragung von Die Nibelungen (Teil 1 – Siegfrieds Tod) und im Jahr darauf mit Unsterblich Walzer, einem nationalsozialistischen Wien-Film aus dem Jahr 1939.

Ein wichtiges Ventil für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinem postnazistischen Fortwirken in Österreich waren die Kabarett-Sendungen des ORF. Dort konnte gesagt werden, was in Nachrichtensendungen und Dokumentationen nicht sagbar war. Der Herr Karl mit Helmut Qualtinger oder die Sendung Das Zeitventil mit Gerhard Bronner sind Beispiele für TV-Kabarett das, so Winter, ein "zentrales Handlungsfeld marginalisierter geschichtspolitischer Strategien" (S. 114) im Fernsehen darstellte.

Blinde Flecken, vielsagendes Schweigen

Auch wenn im frühen ORF vergleichsweise regelmäßig über den Nationalsozialismus gesprochen wurde, blieb das Schweigen. Geschwiegen wurden insbesondere über den Antisemitismus und die ermordeten Juden und Jüdinnen. Selbst wenn die Bilder von Leichenbergen in den Konzentrationslagern im Fernsehen gezeigt wurden, schwieg die Off-Stimme. Eine Geste, die als Zeichen des Respekts für die Ermordeten gelesen werden kann - ebenso aber als Prolongieren des Schweigens und Nicht-Benennens der zentralen Funktion des Antisemitismus für den Nationalsozialismus sowie der österreichischen Mittäter_innenschaft.

Querschnittmaterie in Winters Studie ist eine kritische Betrachtung der Geschlechterverhältnisse und ihrer postnazistischen Inszenierung und medialer Repräsentation. Konstituierend für das österreichische Nachkriegsfernsehen ist die Opfer-These und eine "diskursive Feminisierung" (S. 23) der österreichischen Bevölkerung im Zusammenhang mit der sprachliche Bebilderung ihres Opfer-Status. Nicht zufällig ist von der "Vergewaltigung Österreichs" die Rede, wenn es um die kampflose Übergabe der Macht vom austrofaschistischen Regime an den Nationalsozialismus geht.

Winter kritisiert sehr zu Recht den Umgang des ORF mit seinem Archiv. Obwohl der Zugang mittlerweile nicht mehr so hochschwellig ist wie vor einigen Jahren und ORF III fragmentarisch ältere Formate dem Digitalen Zeitalter zugänglich macht, gibt es nach wie vor viel zu tun. Ökonomische Zugangsbeschränkungen sind auch heute noch traurige Realität und auf technisch/organisatorischer Ebene ist das ORF-Archiv weit davon entfernt, allen Interessierten offen zustehen. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf, um kritische Geschichtswissenschaft, die sich mit der Frühphase des österreichischen Fernsehen beschäftigt, nicht durch ökonomische Hürden oder institutionelle Bürokratie zu sabotieren.

Renée Winter: Geschichtspolitiken und Fernsehen. Repräsentationen des Nationalsozialismus im frühen österreichischen TV (1955-1970), transcript, Bielefeld 2014.

Dieser Text ist geringfügig überarbeitet in Unique 6/2014 erschienen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen