Donnerstag, 4. Juli 2013

Selbstmordattentäter im Kino (2): Die Terrororganisationen

Der zweite Text der Artikelreihe zu Paradise Now und Alles für meinen Vater beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Terrororganisationen zu den Attentätern.

In Paradise Now fungieren einzelne Mitglieder der namenlose Terrororganisation zum Teil als Ersatzfamilie für Said (Kais Nashif). Ein intellektueller Kopf der Organisation ist des öfteren Gast bei Saids Familie und eine Art Mentor für ihn. Erst als der Anschlag nicht wie geplant verläuft und die Organisation nicht weiß, wo sich Said befindet, wird Misstrauen artikuliert. Said wird des Verrats bezichtigt. Nur sein Freund Khaled (Ali Suliman) unterstreicht Saids Loyalität und macht sich auf die Suche nach ihm. Letztlich schafft es Said jedoch das Vertrauen der Organisation wieder zu gewinnen und seine Mission zu vollenden. Das Verhältnis Tareks zum Tanzim ist im Vergleich um einiges vielschichtiger. Der Tanzim hat wenig Vertrauen zu Tarek (Shredi Jabarin). Er sei wie sein Vater, heißt es bereits zu Beginn des Films.

Während die Attentäter in Paradise Now die Möglichkeit haben, sich bis zuletzt gegen den Anschlag zu entscheiden, wovon einer der beiden auch Gebrauch macht, unterliegt Tareks Entscheidungsfreiheit in Alles für meinen Vater starken Einschränkungen. Sein Sprengstoffgürtel kann vom Tanzim via Mobiltelefon ferngezündet werden. Nachdem der erste Versuch Tareks sich auf einem belebten Markt in die Luft zu sprengen, wegen eines defekten Zünders fehlschlägt, ist es lediglich seinem Verhandlungsgeschick zu verdanken, dass von der Option der Fernzündung per Handy kein Gebrauch gemacht wird.

Der Konflikt, dem Paradise Now konsequent ausweicht, wird in Alles für meinen Vater dialogisch ausgespielt. Tareks Begründung, alles nur für seinen Vater zu tun, wird nicht akzeptiert. Auch Tareks Schuldverlagerung in Bezug auf die gesellschaftliche Ächtung des Vaters in Tulkarem, lässt man ihm nicht durchgehen. Keren (Hili Yalon) bringt die Irrationalität von Tareks plänen – ohne etwas von ihnen zu ahnen – auf den Punkt:
Keren: Wie ist es jetzt?
Tarek: Wo?
Keren: In Tulkarem.
Tarek: Beschissen.
Keren: Wegen der Situation?
Tarek: Wegen allem. Auch für meine Familie. Wir sind allesamt gebrandmarkt. Unser Ruf ist hin. Und bei uns ist ein schlechter Ruf verdammt schlecht.
Keren: Kannst du ihn nicht wieder reinwaschen?
Tarek: Kann ich schon. Aber nicht mit einem Lappen.
Keren: Bist du denn nicht sauer? Auf den Tanzim?
Tarek: Was?
Keren: Was sie deinem Vater angetan haben und wegen des Fußballs.
Tarek: Sie? Du hast doch keine Ahnung. Du bist jung und naiv.
Keren: Was ist los?
Tarek: Wie kann ich auf Leute sauer sein, die kaum etwas zu essen haben? Ich bin sauer auf ... [Tarek bricht ab] Auf wen auch immer.
Tarek ist sauer auf Israel, spricht dies jedoch nicht aus, um sich nicht noch verdächtiger zu machen. Schließlich hat er gerade erst eine in Kerens Augen mehr als verrückte Aktion geliefert. Nach einer vom Tanzim angedrohten Fernzündung, fordert er sie erst auf, zu verschwinden und läuft schließlich selbst panisch davon. Das oben zitierte Gespräch findet auf einem Baum statt, auf den sich Tarek geflüchtet hat und auf den ihm Keren nichtsahnend gefolgt ist.

In Paradise Now wird die Erklärung, dass Israel für die Ermordung des Vaters durch eine palästinensiche Terrororganisation verantwortlich sei, bis zum Ende aufrecht erhalten. Alles für meinen Vater hingegen kritisiert diese Schuldverlagerungen und selbst Tarek kommen letztlich Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines Handelns.

Selbstmordattentäter im Kino (1): Die Motivation der Attentäter
Selbstmordattentäter im Kino (3): Der Blick auf Israel
Selbstmordattentäter im Kino (4): Der Raum der potentiellen Opfer
Selbstmordattentäter im Kino (5): Die Detonation

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